Auf der Mittelspannungsebene sind häufig Vakuumschalter das geeignete Schaltprinzip. Weltweit sind über drei Millionen Vakuum-Schaltkammern in Betrieb, die bei ABB im deutschen Ratingen produziert wurden. Mit einer Jahresproduktion von 400 000 Stück ist ABB Weltmarktführer. «Für die Hochspannung ist das Vakuum keine echte Alternative», sagt Christian Ohler. «Die Durchschlagfestigkeit von Hochvakuum ist zwar beträchtlich, aber in Bezug auf die Feldstärke, die es ohne Überschlag bewältigen kann, existiert Richtung Hochvakuum eine Sättigungsgrenze. Über 72 Kilovolt wächst der erforderliche Kontaktabstand überproportional an, womit der spezifische Vorteil eines Vakuumschalters – seine Kompaktheit – verloren geht.»
Eine Alternative zu SF6, das als stärkstes bekanntes Treibhausgas äusserst sorgfältig befüllt und kontrolliert werden muss, könnte CO2 bieten. ABB arbeitet an einer neuen Generation von Leistungsschaltern ab 72,5 kV, die mit CO2 befüllt sind. «Der Vorteil des CO2-isolierten Schalters ist die bessere Ökobilanz über die gesamte Lebensdauer gerechnet. Die technische Funktion ist vollständig die gleiche wie bei Leistungsschaltern mit SF6», sagt Christian Ohler.
Im Gegensatz zur Wechselstrom-Übertragung bleibt die Spannungsrichtung bei der Gleichstrom-Übertragung immer gleich. Damit hat der Gleichstrom keinen Nulldurchgang – und der Schaltlichtbogen stellt damit ein essentielles Problem dar. Bereits im Niederspannungsbereich ist der Schaltlichtbogen bei Gleichstromanwendungen sehr stabil. In der Hochspannung schien es über viele Jahrzehnte nahezu unmöglich, einen Gleichstrom-Lichtbogen zu löschen – man sprach in diesem Zusammenhang sogar von einem Rätsel der Elektrotechnik. Doch in mehrjähriger Forschungsarbeit wurde es gelöst: Ende 2012 konnte ABB die Entwicklung des weltweit ersten Leistungsschalters für die Hochspannungs Gleichstromübertragung (HGÜ) bekannt geben. Der Schalter kombiniert einen aus Leistungshalbleitern bestehenden Schalter mit einem ultraschnellen mechanischen Trenner – deshalb auch die Bezeichnung hybrider HGÜ-Leistungsschalter. Er kann in nur fünf ms Gleichstrom unterbrechen, der der Leistung eines Grosskraftwerks entspricht.
Der hybride HGÜ-Leistungsschalter ist einer der Schlüssel für die weitere Planung von Gleichstromübertragungsnetzen, die eine effiziente Integration von erneuerbaren Energien über grosse Entfernungen ermöglichen. Unter anderem musste bisher bei HGÜ-Systemen zur Beherrschung eines Fehlers auf der Übertragungsstrecke das Gesamtsystem einschliesslich der Konverterstationen abgeschaltet und der Leistungsschalter auf der Drehstromseite geöffnet werden. Dieser relartiv langwierige Vorgang ist dann kritisch zu sehen, wenn die Gleichstromübertragung in Zukunft ein wichtiger Teil des vermaschten Übertragungsnetzes werden wird. Der hybride HGÜ-Leistungsschalter beseitigt diesen kritischen Punkt und sorgt auf der Gleichstroseite dafür, dass die Konverterstationen bei einem kurzzeitigen Fehler – beispielsweise durch Blitzeinschlag in eine Freileitung – weiter am Netz bleiben und damit durchgängig Systemdienstleistungen erbringen können.
Doch nicht nur der kontinuierliche Betrieb von Konverterstationen wird durch den HGÜ-Leistungsschalter ermöglicht. «Der nächste logische Schritt besteht nun darin, die Planungen der aktuellen HGÜ-Projekte so vorzubereiten, dass man die einzelnen Gleichstrom-Übertragungssysteme zu einem Gleichstromnetz erweitern kann», sagt Raphael Görner, Leiter Marketing und Vertrieb für den Geschäftsbereich Grid Systems bei ABB in Mannheim. Die Interaktion zwischen Gleichstrom- und Drehstromnetzen kann heute schon in einem von ABB eingerichteten Simulationszentrum in Echtzeit simuliertund getestet werden. Frühzeitig können die Beteiligten so Erkenntnisse für den späteren Betrieb gewinnen. «Grundsätzlich ist mit der Entwicklung der selbstgeführten HGÜ vor mehr als 15 Jahren und dem von uns 2012 vorgestellten hybriden Leistungsschalter nun die Basis geschaffen, eine effiziente und zukunftssichere Gleichstrom-Infrastruktur zu realisieren», so Görner.