about: Warum sind Rechenzentren so wichtig für das Funktionieren der digitalen Welt?
André Schärer: Rechenzentren spielen
in jeder Volkswirtschaft eine wesentliche
Rolle, weil sie das Rückgrat der Digitalisierung
darstellen. Exponentiell steigende
Datenmengen im Zusammenhang mit
Trends, beispielsweise der Entwicklung
zur Industrie 4.0, das müssen wir technologisch
beherrschen. Das passiert in
einem Rechenzentrum durch Speichern,
Rechnen und Vernetzen. Weltweit entwickeln
sich die Rechenzentren in Richtung
eines eigenständigen Sektors mit Merkmalen,
die wir aus der Industrie kennen. Es
geschieht nur alles in viel kürzeren Zeiträumen,
und es herrscht eine enorme Dynamik
vor.
Woher kommen heute die wesentlichen Impulse und wo sind die interessantesten Standorte?
Bei der Entwicklung innovativer Software
zum Betreiben eines Rechenzentrums
sind die US-Amerikaner die Vorreiter.
Das Betreiben von Software setzt
jedoch eine zuverlässige Infrastruktur voraus
– und da sind wir in Europa immer
noch die Weltmeister. In Zentraleuropa
profitieren wir von der sehr guten elektrischen
Infrastruktur. Was die interessantesten
Standorte anbelangt, so haben
sich in der Vergangenheit gerade viele
der grössten amerikanischen Unternehmungen
von steuerlichen Anreizen leiten
lassen, zum Beispiel in Irland. Doch
spätestens seit dem Bekanntwerden der
NSA-Eingriffe spielt die Datensicherheit
eine immer wichtigere Rolle, wodurch die
Schweiz immer mehr profitiert. «Daten
sind das neue Geld der Schweiz», zitiere
ich Franz Grüter, den CEO der Green
Datacenter AG.
Welche Aspekte sind die wichtigsten beim Betrieb von Rechenzentren?
An oberster Stelle steht praktisch bei
allen Kunden die Verfügbarkeit. Kaum
ein Unternehmen kann heute ohne seine
IT-Infrastruktur funktionieren. Ausfälle
der IT sind sofort geschäftskritisch, die
entstehenden Umsatzausfälle und Kosten
erheblich. Bei einem Co-Location-Rechenzentrum,
in dem verschiedene Kunden
ihre IT-Hardware betreiben, bezieht
sich die Verfügbarkeit eher auf Facility-Aspekte
wie Gebäude, Strom und Kälte. Bei
einem Managed-Service-Kunden, der
alles inklusive IT-Applikationen anbietet,
bezieht sich die Verfügbarkeit eher auf die
IT-Applikationen.
Auf welche Weise kann Verfügbarkeit in Zukunft möglichst kosteneffizient gewährleistet werden?
Verfügbarkeit kann grundsätzlich auf
unterschiedliche Art und Weise gewährleistet
werden. In der Vergangenheit wurde
Verfügbarkeit vorwiegend über eine aufwendige,
teils mehrfach redundante und
nicht zuletzt auch sehr kostenintensive physische
Infrastruktur gewährleistet. Mit den
heutigen Möglichkeiten in den Bereichen
Cloud Computing und Virtualisierung gibt
es Ansätze, Verfügbarkeit vermehrt über
Software zu defi nieren, wodurch auf eine
kostspielige, physische Infrastruktur zumindest
teilweise verzichtet werden kann.
Welchen Weg beschreitet ABB bei der Planung eines Rechenzentrums?
Als führender Anbieter von Energieund
Automationstechnik-Lösungen für
geschäftskritische Anwendungen in der
Industrie bringen wir eine wichtige Grundvoraussetzung
mit. Das heisst allerdings
nicht, dass wir unseren Rechenzentren-
Kunden – von denen wir nach wie
vor lernen können – eine industrielle Vorgehensweise
nahelegen. Vielmehr suchen
wir proaktiv den Dialog mit unseren Kunden,
um zunächst genau zu verstehen,
wo der Schuh drückt. Darauf basierend,
erarbeiten wir massgeschneiderte Lösungen
unter Berücksichtigung aller Aspekte,
um den Anforderungen im Detail gerecht
zu werden, bevor es dann an die konkrete
Umsetzung geht. Dass wir als ABB sehr
breit aufgestellt sind und viele verschiedene
Ansätze verfolgen können, kommt uns
hier sehr zugute. Wir sind innovative Ingenieure,
die die beste Lösung gemeinsam
mit dem Kunden finden wollen. Gleichzeitig
decken wir praktisch das gesamte
Portfolio an Energie- und Automationstechnik
ab, das in Rechenzentren
zur Anwendung kommt.
Inwiefern müssen Sie Überzeugungsarbeit leisten, um Innovationen in Rechenzentren umzusetzen?
Grundsätzlich versuchen wir, bei jeder
Opportunität neue Gedanken in den Planungsprozess einzubringen, um Innovationen
gezielt zu fördern. Es ist jedoch
entscheidend, dass sich unsere Kunden
dabei stets wohl fühlen, indem wir einen
evolutionären Prozess anstreben. Gerade
im Rechenzentrumsgeschäft besteht eine
gewisse konservative Grundhaltung, auf
Bewährtes zu setzen. Revolutionen sind
hier also fehl am Platz, da diese aus Sicht
unserer Kunden mit einem zu hohen Risiko
verbunden sind.
In welchen Bereichen kann ABB innovative
Beiträge zur Optimierung von
Rechenzentren leisten?
Da ABB weder im Bereich der Kühlung
noch im IT-Bereich von Rechenzentren
tätig ist – in denen durchaus noch
viel Potenzial besteht –, beschränkt sich
unser Einflussbereich grundsätzlich auf
die elektrische Infrastruktur und die Automatisierung.
Dies bedeutet aber keineswegs,
dass in diesen Bereichen kein Spielraum
für Optimierungen mehr besteht, wie
folgendes Beispiel zeigt: Derzeit sind wir
dabei, die Entwicklung einer sehr innovativen
Lösung abzuschliessen, wodurch
eine hocheffiziente elektrische Architektur
der Energieversorgung und -verteilung
ermöglicht wird. Die elektrische Infrastruktur
wird übersichtlicher und stark
vereinfacht. Ineffizienzen werden systematisch
eliminiert, ohne dabei Kompromisse
bezüglich Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit,
Wartbarkeit und Sicherheit einzugehen.
Ein Blick voraus: Welche Aspekte werden die Entwicklung bei Rechenzentren in den kommenden 10 bis 20 Jahren am stärksten beeinflussen?
Wir können grundsätzlich von stetig
steigenden Datenmengen und deren Verarbeitung
ausgehen, wobei unsere Welt
insgesamt noch vernetzter sein wird. Auf
der einen Seite führt dieser Trend zu einem
massiv ansteigenden Energiebedarf, was
den Ruf nach energieeffizienten Technologien
in allen Bereichen des Rechenzentrums
immer lauter werden lässt. Diese
erfordern eine enge Zusammenarbeit der
Beteiligten aller Disziplinen. Andererseits
werden die Anforderungen an Verfügbarkeit
und Kosteneffizienz steigen, wodurch
Cloud Computing und Virtualisierung weiter
an Bedeutung gewinnen werden.