Jani Hakala, Janne Pohjalainen, Veli-Pekka Peljo ABB Marine and Ports, Helsinki, Finland, jani.hakala@fi.abb.com, janne.pohjalainen@fi.abb.com, veli-pekka.peljo@fi.abb.com
Die Weltschifffahrtsorganisation IMO hat eine Resolution verabschiedet, die eine deutliche Senkung der Treibhausgas-(THG-)Emissionen in den kommenden Jahrzehnten vorsieht [1]. Dieses Ziel dürfte ohne bedeutende technische Fortschritte auf dem Gebiet der Kraftstoffe und Antriebstechnik sowie eine stärkere Nutzung alternativer Energiequellen wie Batterien und Brennstoffzellen nur schwer erreichbar sein. Die jüngste Innovation von ABB auf dem Gebiet dieser sich rasch entwickelnden umweltverträglichen Lösungen ist ABB Dynafin, ein Zykloidalpropeller-Antrieb, der die dringende Forderung nach mehr Effizienz und weniger Emissionen erfüllt →01.
01 Der ABB Dynafin-Antrieb.
Funktionsweise
Das ABB Dynafin-Konzept basiert im Wesentlichen auf einem Zykloidalpropeller mit einzeln gesteuerten Schaufeln, die eine trochoidale Bewegung ausführen →02. (Ein Trochoid ist die Bahn, die ein Punkt auf dem Umfang eines Kreises beschreibt, wenn dieser sich auf einer graden Linie abrollt.) Trochoidalpropeller sind im Prinzip nicht neu, doch technologische Einschränkungen haben eine Kommerzialisierung und Markteinführung bislang verhindert.
02 Bewegung eines Trochoidalpropellers [2].
ABB Dynafin erzeugt Schub mittels profilierter Schaufeln, die unten aus dem Schiffsrumpf ragen. Jede Schaufel ist sowohl um die globale Achse eines Hauptrads als auch um ihre eigene lokale Achse drehbar. Letztere fungiert als Drehpunkt für eine vorgesehene Pitchbewegung (d. h. Bewegung des Schaufelprofils um die Querachse) →01b. Die Bewegungsbahnen (Trajektorien) der Schaufeln bei der Schuberzeugung ähneln der Schwanzflossenbewegung von Walen und Delfinen. Diese Art der Pitchbewegung führt zu einer sehr hohen Antriebseffizienz. Zudem ist der Antrieb in der Lage, die Schubrichtung nahezu augenblicklich zu verändern, was die Manövrierfähigkeit des Schiffs erhöht. Ein Azimut-Strahlruder, bei dem ein herkömmlicher Propeller zur Änderung der Schubrichtung um seine vertikale Achse gedreht wird, ist hingegen langsamer und somit weniger effektiv beim Manövrieren des Schiffes.
Die hohe Effizienz des ABB Dynafin-Antriebs ist auf verschiedene Schlüsselfaktoren zurückzuführen, die im Folgenden näher beschrieben werden:
Größere Antriebsfläche
Die größere Antriebsfläche von ABB Dynafin reduziert die Belastung des Propellers, das Ergebnis ist ein äußerst niedriger Schubbelastungsgrad. Je niedriger dieser Koeffizient, desto höher ist der ideale Freifahrtwirkungsgrad eines Antriebs. Darüber hinaus eignet sich Dynafin dank seiner Geometrie ideal für flache Gewässer, da der Antrieb nicht so weit aus dem Schiffsrumpf hervorragt wie ein vergleichbarer Schraubenpropeller.
Große Streckung und keine Rotationskomponente
Durch die große Schaufelstreckung (im Prinzip das Verhältnis von Schaufellänge zur Breite) erhöht sich die Gleitzahl (Verhältnis von Auftrieb zu Widerstand) der einzelnen Schaufeln signifikant, sodass diese viel höher ist als bei einem herkömmlichen Schraubenpropeller. Des Weiteren erzeugen Schraubenpropeller, deren Drehachse parallel zur Anströmrichtung verläuft, Rotationsverluste im Nachstrom. Dies wird beim Zykloidalpropeller verhindert, da die Nachlaufströmung keine bedeutenden Rotationskomponenten aufweist.
Einzeln gesteuerte Schaufeln
Jede Schaufel wird einzeln durch einen Elektromotor, einen Frequenzumrichter (zur Regelung von Drehmoment und Drehzahl) und eine Steuerlogik gesteuert. Dies ermöglicht die Imitation der hocheffizienten Bewegung eines Walschwanzes und die Anpassung der Schaufelbewegung (Exzentrizität, Fortschrittsgrad und Anstellwinkel) an verschiedene Situationen des Schiffsbetriebs bei gleichzeitiger Maximierung von Effizienz und Schub sowohl während der Fahrt als auch bei der dynamischen Positionierung (DP).
Ein bedeutender Unterschied zu einem typischen Festpropeller, der für einen einzigen Betriebspunkt optimiert ist, besteht in der Tatsache, dass beim ABB Dynafin-System die Bewegung der Schaufeln kontinuierlich angepasst werden kann, um eine optimale Leistungsfähigkeit über einen breiten Drehzahlbereich und verschiedene Nachstromfelder hinweg zu gewährleisten. Die Steuerungs- und Softwaretechnologie des Systems bietet die Möglichkeit zur Optimierung der Schiffsleistung über dessen Lebensdauer hinweg und unterstützt so das Konzept eines „digitalen Propellers“. ABB Dynafin kann auch im „Rudermodus“ betrieben werden, wobei alle Schaufeln so gesteuert werden, dass sie wie herkömmliche Steuerruder wirken. Diese Funktion bietet nicht nur Vorteile für Doppelendschiffe und Schiffe mit Segelunterstützung, sondern erhöht auch die Redundanz bei Ausfällen, indem sie einen Teil der Steuerungsfähigkeit bereitstellt.
Minimale Rumpfanhänge
Propeller mit einem herkömmlichen Wellenstrang erfordern ein Ruder und Wellenböcke zur Führung der Welle, die einen zusätzlichen Strömungswiderstand verursachen. Bei einem Zykloidalantrieb ist kein Ruder erforderlich, und die einzigen Teile, die aus dem Rumpf ragen, sind die Schaufeln. Somit ist der zusätzliche Strömungswiderstand gering, was die hydrodynamische Leistung des Schiffs verbessert.
Zudem können aufgrund der hohen Effizienz des ABB Dynafin-Antriebs kleinere Generatoren eingesetzt werden. Dies ermöglicht eine flexible allgemeine Anordnung, schafft mehr Platz für Fracht und Passagiere und senkt die Wartungskosten. In Kombination mit einem intelligenten Steuerungssystem wird außerdem die Manövrierfähigkeit verbessert, was ebenfalls die Effizienz und Sicherheit des Schiffsbetriebs erhöht.
Präzise Antriebssteuerung
Die Drehbewegung des Hauptrads wird durch einen Elektromotor erzeugt, der das Rad direkt antreibt. Das Hauptrad dreht sich mit einer relativ geringen Drehzahl von 40 bis 80 U/min und ist mit vier bis sechs identischen Schaufelmodulen bestückt. Die Drehrichtung ist unter allen Betriebsbedingungen gleich. Schubkraft und -richtung werden durch die Drehzahl des Hauptrads und die Schaufelstellung bestimmt.
Modelle und Modellierung
Ein wichtiger Bestandteil bei der Entwicklung von ABB Dynafin waren numerische Strömungssimulationen (Computational Fluid Dynamics, CFD) zur Beurteilung der hydrodynamischen Leistung und Freifahrtversuche mit maßstäblichen Modellen →03–04. Außerdem wurde der Rumpf eines Plattform-Versorgungsschiffs mit Antriebseinheiten nachgerüstet, um einen direkten Vergleich zu vorhandenen Azipod®-Einheiten im selben Leistungsbereich zu ermöglichen. Nach den erfolgreichen Simulationen und Modellversuchen führte ABB produktive Gespräche mit mehreren Schiffskonstruktionsbüros, Werften, Schiffseignern und -betreibern, um die Machbarkeit des Konzepts zu bestätigen. Mitte 2023 erfolgte schließlich die Marktvorstellung des ABB Dynafin-Konzepts.
03 CFD-Simulationen bieten nahezu unbegrenzte Möglichkeiten und waren die schnellste und kostengünstige Möglichkeit zur Untersuchung hydrodynamischer Phänomene und Verbesserung des Konzepts. Die beiden Screenshots mit niedriger Auflösung zeigen Beispiele für die Simulation verschiedener Aspekte des Designs.
Reduzierung von Unterwasserlärm
Neben THG-Emissionen gilt Unterwasserlärm (Underwater Radiated Noise, URN) aufgrund seiner möglichen Auswirkungen auf aquatische Ökosysteme als bedeutendes Problem. Dementsprechend sind Begrenzungen der Geräuschemissionen in naher Zukunft zu erwarten. Dadurch, dass die Elektromotoren beim ABB Dynafin-Antrieb innerhalb des Rumpfs untergebracht sind, wird elektromagnetisches Rauschen minimiert. Geringe Druckimpulse und Geschwindigkeiten der Schaufelspitzen führen zu weniger Kavitation und Turbulenzen und somit zu einer geringeren hydrodynamischen Geräuschentwicklung. Die individuelle Steuerung einzelner Schaufeln ermöglicht zudem eine Optimierung der Trajektorien zur Minimierung hydrodynamischer Geräusche in verschiedenen Betriebssituationen.
Breite Anwendung
Zunächst konzentriert sich ABB auf die Entwicklung der ABB Dynafin-Einheiten für den Leistungsbereich von 1 bis 4 MW pro Antrieb. Mit vier installierten Einheiten können so Anwendungen bis 16 MW abgedeckt werden. Zusätzlich zum direkten elektrischen Antriebsstrang für das Hauptrad und die Schaufelmodule kann ein mechanisches Kegelradgetriebe verwendet werden, um eine Verbindung zur Hauptmaschine zu schaffen und die Vorteile auf Schiffsbereiche auszudehnen, in denen elektrische Antriebsstränge normalerweise nicht zum Einsatz kommen.
Antrieb für die Zukunft
Die höhere Effizienz von ABB Dynafin im Vergleich zu vorhandenen Antriebssystemen führt zu direkten Einsparungen bei den Kraftstoffkosten und ermöglicht eine Reduzierung der Generatorgröße. Letzteres ist besonders für hybride oder batteriebetriebene Schiffe von Vorteil, da weniger große und somit kostengünstigere Batterien verbaut werden können. Geringerer Kraftstoffverbrauch bedeutet auch kleinere Kraftstofftanks und einen geringeren Platzbedarf für den Antriebsstrang, was wiederum eine flexiblere allgemeine Anordnung der Systeme und mehr Platz für Passagiere und Fracht erlaubt. Diese indirekten Einsparungen können sich unterm Strich finanziell sehr positiv auswirken. Neben der hohen Effizienz zeichnet sich ABB Dynafin durch eine hervorragende Manövrierfähigkeit, Kostensenkungen und eine erhöhte Sicherheit aus →05.
Mit ihrem breiten Know-how in den Bereichen Hydrodynamik, mechanische Systeme, Schiffselektrifizierung, Automatisierungs- und Steuerungstechnik verfügt ABB über die idealen Voraussetzungen zur weiteren Verbesserung des innovativen Dynafin-Systems. Zweifelsohne wird ABB Dynafin neue Maßstäbe in puncto Anpassungsfähigkeit und Intelligenz für Schiffsantriebe setzen und die Vorstellung von effizienten Antriebssystemen in der Schifffahrtsindustrie neu definieren.
ABB Dynafin verbessert viele Aspekte der Leistungsfähigkeit eines Schiffes von der Effizienz über die Zuverlässigkeit bis hin zum Komfort für die Besatzung und Passagiere:
KUNDENVORTEILE
Hohe Effizienz
• Freifahrtwirkungsgrad von bis zu 85 Prozent.
• Signifikante Kraftstoffeinsparungen und daraus resultierende Emissionsvermeidung.
• Geringere installierte Leistung – unterstützt die Elektrifizierung von Schiffen und Nutzung grünerer Kraftstoffe.
Hervorragende Manövrierfähigkeit
• Unmittelbare Kontrolle von Schub und Richtung – erhöht die Betriebssicherheit und Flexibilität sowie die Leistungsfähigkeit bei der dynamischen Positionierung.
• Geeignet für anspruchsvolle Einsätze und Bedingungen auf See.
Hohe Zuverlässigkeit und einfache Wartung
• Geringere Anzahl von Komponenten durch Kombination von Antrieb und Steuerung und einen direkten elektrischen Antriebsstrang für das Hauptrad und die Schaufelmodule.
• Minimierter Komponentenverschleiß durch Verzicht auf Getriebe und geringe Drehzahl des Hauptrads von 40 bis 80 U/min.
• Leichter Zugang zum Hauptrad – ermöglicht die Inspektion und den Austausch vieler Komponenten vom Schiffsinneren, erleichtert die Überwachung von Kom-ponenten, erhöht die Verfügbarkeit des Schiffs und verkürzt die Aufenthalte im Trockendock.
• Einfacheres Ersatzteilmanagement durch modularen Aufbau und hohen Standardisierungsgrad der Einheiten.
Hoher Bordkomfort und nachhaltiger Betrieb
• Geringe Drehzahl minimiert Kavitation, Druckimpulse, Geräusche und Vibration.
• Geringer Unterwasserlärm ermöglicht den Einsatz in empfindlichen Meeresgebieten.
Video über Dynafin “Introducing the revolutionary ABB Dynafin™ – the latest propulsion innovation by ABB” (hosted on Youtube)
Literaturhinweise
[1] International Maritime Organization, “Revised GHG reduction strategy for global shipping adopted.” Available: https://www.imo.org/en/MediaCentre/PressBriefings/pages/Revised-GHG-reduction-strategy-for-global-shipping-adopted-.aspx#:~:text=The%20revised%20IMO%20GHG%20Strategy,points%20for%202030%20and%202040. [Accessed December 10, 2023.]
[2] Fasse, G. et al., “An experimental blade-controlled platform for the design of smart cross-flow propeller.” Available: https://www.sciencedirect.com/science/ article/abs/pii/ S0029801822003547. [Accessed October 12, 2023.]