Optimales Energiemanagement

Optimales Energiemanagement

Energiemanagementsysteme (EMS) sind wichtige Werkzeuge, wenn es darum geht, die Herausforderungen einer sich rasch wandelnden Energielandschaft zu bewältigen. Wie nutzen EMS Verfahren wie mathematische Optimierung und KI-basierte Vorhersagen, um alle betrieblichen Anforderungen zu erfüllen und gleichzeitig die Energiekosten und den CO₂ Ausstoß zu minimieren?

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Bernhard J. Primas, Arzam Kotriwala, Matthias Schloeder, ABB Corporate Research, Ladenburg, Germany, bernhard.j.primas@de.abb.com, arzam.kotriwala@de.abb.com, matthias.schloeder@de.abb.com

Der weltweite Energieverbrauch hat in den letzten 100 Jahren rapide zugenommen und wird voraussichtlich weiter ansteigen [1].Zudem sind die Energiepreise in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen und werden wohl auch in Zukunft volatil bleiben. Stromnetze, deren Entwicklung bislang allmählich vonstattenging, verändern sich nun rasch, wobei lokale und dezentrale Erzeugung und der wachsende Anteil dynamischer erneuerbarer Ressourcen die Stabilität des Netzes auf die Probe stellen →01. EMS spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung dieser Herausforderungen.

01 Neue Paradigmen in der Energieversorgung
verlangen neue Werkzeuge
01 Neue Paradigmen in der Energieversorgung
verlangen neue Werkzeuge
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Die Aufgabe eines EMS ist es, den Betrieb von Energieverbrauchern, -erzeugern und -speichern – wie zum Beispiel einem Batteriespeichersystem (BESS) – innerhalb eines Unternehmens zu überwachen, zu steuern und zu optimieren. Ein EMS kann als ein System aus verschiedenen Komponenten, Modulen und Prozessen betrachtet werden. Zwei wichtige funktionale Bestandteile eines optimalen Energiemanagements, um die es in diesem Artikel vornehmlich gehen soll, sind die Vorhersage und die Optimierung. Diese hat ABB in separaten Modulen implementiert →02, die regelmäßig (typischerweise alle 15 Minuten) ausgeführt werden, wobei das Vorhersagemodul zuerst ausgeführt wird und seine Ergebnisse an das Optimierungsmodul übergibt.

02 Überblick über das
System für ein optimales Energiemanagement.
02 Überblick über das
System für ein optimales Energiemanagement.
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Das Ergebnis einer Vorhersage für die nächsten 24 Stunden können zum Beispiel Daten in Form einer Zeitreihe sein, die die zu erwartende photovoltaische Erzeugung oder den Strombedarf verschiedener Lasten enthält.

Auf der Grundlage der vorhergesagten Zeitreihe und der Standortparameter werden anschließend die optimalen Strategien für den Anlagenbetrieb bis zum Vorhersagehorizont berechnet. Diese Strategien werden dann bis zum nächsten Zeitstempel (z. B. in 15 Minuten) angewendet. Dies kann zum Beispiel die beste Ladestrategie für Fahrzugbatterien für die nächsten 15 Minuten unter Berücksichtigung der prognostizierten regenerativen Energieerzeugung, der für das Laden der Fahrzeuge benötigten Energie und des aktuellen Energiepreisprofils sein. Beide Module benötigen einen kontinuierlichen Datenstrom aus dem Feld als Eingabe fürihre Algorithmen.

Die Vorhersage- und Optimierungsschritte leisten den größten Beitrag zur Minimierung der Energiekosten. Der von ABB für die Module gewählte Ansatz skaliert außerordentlich gut, da eine sehr große Anzahl von Anlagen gleichzeitig optimiert werden kann. Zudem erfolgt die Optimierung auf eine globale Weise, d. h. einzelne Anlagengruppen werden nicht isoliert, sondern zusammen als Ganzes betrachtet.

Der EMS-Kernalgorithmus von ABB beinhaltet die KI-basierte Generierung von Vorhersagen für die Erzeugung und den Verbrauch sowie die mathematische Optimierung von Sollwerten →03. Die schlanke Lösung benötigt nur eine begrenzte Anzahl von Konfigurationsparametern, garantiert aber eine ausreichende Qualität bei der Modellierung der physischen Anlagen.

03 Prozessablauf von Modelltraining, Vorhersage und Optimierung.
03 Prozessablauf von Modelltraining, Vorhersage und Optimierung.
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Funktionsweise der Vorhersage
Die Vorhersage ist eine wesentliche Komponente eines EMS, denn die Fähigkeit, zum Beispiel Bedarfsspitzen zu bestimmten Tageszeiten vorherzusagen, ermöglicht es dem System, den Verbrauch und die Speicherung entsprechend zu optimieren und somit Kosten zu senken.

Dazu hat ABB ein generisches Vorhersagemodul auf der Basis von automatisierten maschinellen Lernverfahren (AutoML) entwickelt. AutoML-Algorithmen und -verfahren verbessern die Effizienz und Genauigkeit bei der Bestimmung des am besten geeigneten maschinellen Lernmodells (ML-Modell) und der dazugehörigen Parameter durch Automatisierung der Suche. Diese Automatisierung beinhaltet die Schritte Datenaufbereitung, Feature Engineering, Hyperparameter Tuning, Modellauswahl und Evaluierung →04.

Die AutoML-Lösung ist für sequenzielle oder Zeitreihendaten ausgelegt. Das Modul führt ein Feature Engineering im Hinblick auf Verzögerungen, Saisonalität, Transformationen, Trends usw. durch, um die Zeitreihendaten anzureichern. Eine wichtige Anforderung für das Energiemanagement und ein wichtiges Merkmal der ABB-Vorhersagelösung ist, dass die erstellten Modelle Sequenzvorhersagen liefern. So würde das ML-Modell bei Eingabe der elektrischen Lastwerte der letzten Stunden (z. B. 12 Stunden) eine Vorhersage der elektrischen Last über die kommenden Stunden (z. B. 24 Stunden) mit einer gleichmäßigen Abtastrate (z. B. alle 15 Minuten) liefern.

Das Vorhersagemodul deckt die Erzeugung und den Verbrauch erneuerbarer Energien sowie verschiedene elektrische Lasten (z. B. Beleuchtung oder Klimaanlagen) ab. Dank seiner generischen Natur kann der Ansatz – mit ausreichenden Trainingsdaten – aber auch zum Training von Modellen für andere kontinuierliche Größen wie etwa die thermische Last eines Gebäudes oder eines industriellen Prozesses verwendet werden.

Behandlung von Unsicherheit
Die Fähigkeit, wahrscheinliche Abweichungen von den vorhergesagten Werten zu antizipieren, bietet einen weiteren Nutzen für das Energiemanagement. Aus diesem Grund hat ABB das automatisierte Training eines generischen Modells zur Unsicherheitsquantifizierung in das Vorhersagemodul integriert →05. Unabhängig von dem von AutoML gewählten ML-Verfahren wird ein unabhängiges Modell zur Post-hoc-Unsicherheitsquantifizierung erstellt. Die Unsicherheitsquantifizierung liefert Vorhersageintervalle mit Ober- und Untergrenzen, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit den wahren Lastwert enthalten. Eine solche Unsicherheitsquantifizierung zeigt, wie zuverlässig und vertrauenswürdig eine Vorhersage ist. Schmale Intervalle können zum Beispiel darauf hindeuten, dass der ML-Algorithmus in seinen Vorhersagen verlässlicher ist.

05 Insbesondere erneuerbare Energiequellen können für Unsicherheit sorgen. Das Vorhersagemodul ist darauf ausgelegt, mit Abweichungen von vorhergesagten Werten 
zurechtzukommen.
05 Insbesondere erneuerbare Energiequellen können für Unsicherheit sorgen. Das Vorhersagemodul ist darauf ausgelegt, mit Abweichungen von vorhergesagten Werten zurechtzukommen.
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Mathematische Optimierung
Nachdem das Vorhersagemodul ermittelt hat, was im Hinblick auf die Erzeugung und den Verbrauch über den betreffenden Zeithorizont wahrscheinlich passieren wird, bestimmt das Optimierungsmodul die am besten zu den Energiezielen passende Strategie.

Neben statischen Daten wie der Netztopologie oder verschiedenen Anlagenparametern gibt es auch Flexibilitäten im Betrieb der Anlagen, die mit aktiven Entscheidungen verbunden sind, wie zum Beispiel die Lade-/Entladestrategie für den Batteriespeicher. Dieses dynamische Umfeld führt dazu, dass es mehrere – vielleicht sogar unendlich viele – mögliche Strategien gibt, die alle physikalisch gültig sind. Da die gewählte Strategie erhebliche finanzielle und/oder ökologische Auswirkungen haben kann, besteht die Aufgabe darin, eine physikalisch machbare Lösung zu finden, die alle Nutzeranforderungen erfüllt und die Kosten minimiert. Die mathematische Optimierung ist ein sehr mächtiges Werkzeug zur Bestimmung einer solchen Lösungsstrategie.

Die mathematische Optimierung erfordert mehrere Eingaben wie die technischen Eigenschaften der Anlagen (maximale Batterieladeleistung, Batterieladezustand usw.), deren Verbindungen, die vorhergesagten Zeitreihen für Verbraucher und Erzeuger über einen bestimmten Zeithorizont (normalerweise 24 Stunden) sowie die Netzpreise für den geleichen Horizont und ein Optimierungsziel, für das die optimale Lösung errechnet werden soll. Dabei müssen nicht notwendigerweise alle Vorhersagen vondem oben beschriebenen Vorhersagemodul kommen, sie können auch von einem externen Anbieter bereitgestellt werden, was die ABB-Lösung sehr flexibel macht.

Mithilfe der Eingabeinformationen wird ein mathematisches Modell erstellt, das die Entwicklung des elektrischen Netzes über einen Vorhersagehorizont als Folge bestimmter Regelentscheidungen und die daraus resultierenden Kosten beschreibt, die es zu minimieren gilt. Mögliche Steuerentscheidungen können das Lade- oder Entladeverhalten einer Batterie und die Aktivierung bzw. Deaktivierung einer flexiblen Last sein. Das zugrunde liegende Problem der optimalen Steuerung wird als ein Problem der gemischt-ganzzahligen linearen Programmierung (Mixed-Integer Linear Programming, MILP) modelliert.

Effiziente Lösung
Für MILP-Probleme existieren exakte Lösungsalgorithmen, die in der Lage sind, auf effiziente Weise globale Lösungen, d. h. bestmögliche Strategien unter allen Möglichkeiten, zu finden. Für die hier beschriebene Optimierung liegen die Lösungszeiten je nach Größe des Netzes und der Anzahl der beteiligten binären Variablen zwischen wenigen Sekunden und einer Minute.

Das MILP-Modell betrachtet den Betrieb des Energienetzes einen Tag im Voraus (day-ahead). Somit wirken sich alle Informationen, die zum Beispiel für die nächsten 24 Stunden zur Verfügung stehen, darauf aus, welche Sollwerte ins Feld zurückgemeldet werden. Sagt der Wetterbericht für den nächsten Tag zum Beispiel bewölktes Wetter voraus, könnte sich der Optimierungsalgorithmus dazu entscheiden, über Nacht mehr Energie in der Batterie zu behalten, da eine geringere PV-Erzeugung zu erwarten ist. Bei einer sonnigen Prognose könnte die Energie aus der Batterie hingegen sofort genutzt werden →06.

06 Berechnung optimaler Sollwerte für die nächsten 24 Stunden.
06 Berechnung optimaler Sollwerte für die nächsten 24 Stunden.
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Allgemein anwendbar
Die ABB EMS-Lösung kann in den verschiedensten Anwendungsgebieten – von Wohn- und Gewerbegebäuden bis hin zu Industrieanlagen – eingesetzt werden. Tatsächlich gilt dies für jede Netzwerktopologie, die sich aus unterstützten Komponenten zusammensetzt. Dazu gehören:

  • erneuerbare Energiequellen
  • elektrische Lasten mit festem Bedarf (d. h. Lasten mit einem festen Verbrauchsmuster)
  • elektrische Lasten mit gewissen Flexibilitäten in der Nutzung (z. B. flexible Start- und Laufzeit mit einem festen Gesamtverbrauch)
  • stationäre Batteriespeichersysteme sowie das Laden von E-Fahrzeugen

Das EMS von ABB ist – je nach Ziel des betreffenden Kunden – in der Lage, verschiedene Optimierungsstrategien umzusetzen. Dazu gehören Strategien wie Lastspitzenkappung (Peak Shaving), Energiearbitrage, Lastverschiebung und Lastabwurf (Abschalten einzelner Lasten), aber auch komplexere und umfassendere Ziele wie Profilglättung (Minimierung von Schwankungen in den Energiezuflüssen und -abflüssen im Netz oder der Batterie). Eine Kombination dieser Strategien ist ebenfalls möglich.

Ein einfacher Weg in eine nachhaltige Zukunft
Das EMS von ABB ist eine schlanke Systemlösung, die KI-basierte Vorhersageverfahren und eine ausgeklügelte mathematische Optimierung nutzt, um ein automatisches und optimales Energiemanagement zu ermöglichen. Die Lösung benötigt nur einige wichtige Konfigurationsparameter, was die Einrichtung und den Betrieb vereinfacht. Je nach Bedarf können zusätzlich Parametereingestellt werden. Das EMS hilft dabei, Kosten und die Umweltbelastung zu reduzieren, und ebnet so den Weg in eine saubere, elektrifizierte und nachhaltige Zukunft.

Literaturhinweis
[1] Statista, “Energy consumption worldwide from 2000 to 2019, with a forecast until 2050, by energy source.” Available: https://www.statista.com/statistics/222066/projected-global-energy-consumption-by-source/. [Accessed December 24, 2023.]

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